Als ich lese, dass im Bucerius Kunst Forum die Ausstellung „Gabriele Münter: Menschenbilder“ wird, bin ich sogleich Feuer und Flamme. Nein, nicht die beliebten leuchtendfarbigen Gemälde aus Murnau sind dort zu sehen, sondern eine Fülle weitgehend unbekannter Porträts in unterschiedlicher Technik. Gemeinsam mit meiner Tochter gehe ich an einem kalten, windigen Sonntag zum Alten Wall.

Und wir werden nicht enttäuscht. Nie hätte ich gedacht, dass diese Malerin so oft und auf so unterschiedliche Weise Menschen in ihrer Umgebung gemalt hat – seit ihrer Kindheit, wie sie einmal betonte. Kein Wunder, dass die Lebendigkeit in Augen und Haltung der Frauen, Männer und Kinder die Betrachtenden geradezu anspringt und sie staunen lässt über die Ausdrucksstärke, die mit scheinbar wenigen Mitteln, kraftvollen Farben und sicheren Linien erreicht wird. Das Bild rechts ist ein Selbstporträt der Künstlerin, die auch auf Fotos nur selten lächelt, sondern sich als ernste, konzentrierte Frau zeigt.



Und wie berührend sind die liebevoll-sanften Bilder von Mutter und Kind, die beide wie eine Einheit erscheinen. Kinder hat sie immer wieder gemalt, in ganz unterschiedlichen Lebenslagen. Eines der schönsten dieser Bilder zeigt ein völlig entspanntes schlafendes Mädchen.

Geboren wurde Gabriele Münter 1872 in Berlin und starb 85-jährig in Murnau. Neben Paula Modersohn-Becker gilt sie als bekannteste Vertreterin des Expressionismus in Deutschland. Sie stand lange im Schatten von Wassily Kandinsky, ihrem ehemaligen Lehrer und späteren Lebensgefährten, mit dem sie im eigenen Haus in Murnau wohnte, an seiner Seite viele Reisen unternahm und die Künstlergruppe „Der blaue Reiter“ mitbegründete. Als Kandinsky im Zweiten Weltkrieg nach Moskau ins Exil gehen musste, rettete sie viele seiner Bilder, die sie in Murnau versteckte. Er dankte es ihr nicht. Während ihrer gemeinsamen Zeit hat sie ihn oft portätiert, auch mit diesem unglaublich feinen, treffenden Holzschnitt.

Ausführliche Schilderungen ihres Lebens auf großen Tafeln sowie Fotos von ihr selbst oder von ihr aufgenommen auf ihren vielen Reisen bringen einem die Künstlerin sehr nahe. Ihr wunderbar leuchtendes Bild aus ihrem Garten wird nicht in der Ausstellung gezeigt, wohl aber in einem Film über ihr Leben und ihre Arbeit, der ebenfalls zu sehen ist.

Am Ende lädt der von Gabriele Münter so genannte „Nachdenksessel“ die Besucher dazu ein, das Bild „Schreibende Dame“ nachzustellen. Und das ist hier mit meiner Tochter ganz besonders schön gelungen.


Die Ausstellung ist noch bis zum 21. Mai im Bucerius Kunst Forum am Alten Wall 12 zu sehen.
Text und Fotos: Boike Jacobs
Die Nachbildung ist wirklich sehr gut gelungen.
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