Freizeit & Reise

Marc Chagall – Welt in Aufruhr

Gestern früh bin ich nach Frankfurt gefahren, um die Ausstellung in der Kunsthalle Schirn zu sehen: „Marc Chagall – Welt in Aufruhr.“ Über 100 Bilder sind hier seit dem November zu sehen, viele davon kaum bekannt.

Gleich am Eingang zu den Sälen ein überwältigender Eindruck: „Einsamkeit“ hat Marc Chagall dies Gemälde genannt. Es gehört zu seinen bekanntesten Bildern und ist auf vielen Kunstdrucken und Postkarten zu sehen. Viel größer ist es, als ich gedacht hatte, und es nimmt mir fast den Atem, als ich es sehe. Ganz schlicht, ganz ernst hat Chagall den Juden mit der Tora-Rolle gemalt, der unter einem Himmel sitzt, der sich zunehmend mit dunklen Wolken füllt. Welche Stille und welche Trauer gehen von diesem Bild aus.

Viele Überraschungen bekomme ich in den drei Stunden zu sehen, in denen ich langsam von Bild zu Bild gehe. Mir war nicht klar, wie oft Chagall eine Kreuzigung dargestellt hat als Inbegriff der Ermordung der osteuropäischen Juden, von russischen Pogromen bis hin zum Holocaust. Er wuchs in der Kleinstadt Witebsk auf, ein Drittel der Einwohner waren Juden. Katholische Riten und katholischer Antisemitismus waren immer gegenwärtig. Aber Chagall malt den Gekreuzigten nicht als Erlöser, sondern als leidenden Juden. Einmal mit Gebetsriemen, Gebetsmantel als Lendenschutz sowie einer übergroßen Tora-Rolle, einmal in polnischer Alltagskleidung, hinter sich zwei weitere Gekreuzigte, und schließlich das Bild „Weiße Kreuzigung“, das Papst Franziskus besonders liebt und in einem seiner Privaträume aufgehängt hat.

Obwohl nur Zeit-Tickets ausgegeben werden, drängen sich die Menschen schweigend und sichtlich ergriffen vor den Bildern. Nach drei Stunden intensiven Schauens und Lesens bin ich berührt, beeindruckt, beglückt und fahre erschöpft nach Bergedorf zurück. Bis zum 19. Februar ist die Ausstellung noch in der Frankfurter Kunsthalle Schirn zu sehen. 

Boike Jacobs, Fotos: Archiv Kunsthalle Schirn

Ein Gedanke zu „Marc Chagall – Welt in Aufruhr“

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