Dieses & jenes

Was Kirchen vom HSV lernen können

Gastbeitrag: Pastor Jonas Goebel

Ich glaube: Fußballvereine und Kirchen haben mit Blick auf ihre Fans bzw. Mitglieder große Ähnlichkeiten. Es gibt alles von Ultras bis Erfolgsfans. Dabei können Kirchen im Umgang mit ihren Mitgliedern einiges von den Vereinen lernen. Ich bin HSV-Fan, weil ich aus Hamburg komme und weil wir bei uns in der Familie alle HSV-Fans sind. Ich war sogar beim letzten Spiel in der ersten Bundesliga dabei, also bei dem Spiel, als der HSV das erste Mal abgestiegen ist. Das war traurig, aber meine Welt ist jetzt nicht zusammengebrochen. Und da habe ich festgestellt: Es ist mit den Kirchen ein wenig wie mit dem HSV.

HSV-Fans vor dem Anpfiff. Foto: Archiv

Die treuesten HSV-Fans sind erstaunlich wenig am Spiel selbst interessiert. Es wird eigentlich durchgehend gesungen, relativ egal, was auf dem Platz geschehen ist. Es gibt auch Konflikte im Block, und die sind dann auch erstmal wichtiger als das Spiel.

Die treuesten HSV-Fans kommen aus sozialen Gründen. Es gibt zwar Stress zwischen Gruppen, aber innerhalb der Gruppe passt man sehr auf sich auf. Also kurzgefasst war ich immer erstaunt, dass die „richtigen Fans“ aus meiner Sicht eigentlich das Spiel mehr als Funktion nutzten.

Insgesamt würde ich sagen: Da kommen Menschen aus sehr unterschiedlichen Gründen zum HSV. Die deutliche Minderheit sind treue Fans wie meine Brüder. Der absolute Großteil sind Fans wie ich oder ähnlich wie ich. Doch so ein Spiel bzw. ein Stadion wäre ganz schön „tot“, wenn es nicht diese treuen Fans in der Minderheit gäbe. Ganz ehrlich: Mit Leuten wie mir kommt kaum Stimmung ins Stadion. Und erst recht käme keine Unterstützung für Mannschaft zustande, selbst wenn das Spiel schlecht läuft.

Also: Die meisten Fans kommen ab und zu. Die meisten Fans kommen, wenn die Mannschaft erfolgreicher ist. Die meisten Fans kommen, weil sie das Spiel wirklich sehen wollen. Aber den meisten Fans würde am Stadion-Erlebnis etwas fehlen, wenn die treuen Fans in der Minderheit nicht dabei wären.

Was können wir als Kirchen davon lernen? Auch wir haben verschiedene „Fans“ (Mitglieder). Wir haben „Ultras“, die kommen jeden Sonntag in den Gottesdienst. Wir haben Leute, die kommen ab und zu. Beide Gruppen sind wichtig. Auch bei uns machen die „treuen Fans“ oft die Stimmung (singen laut mit). Aber auch bei uns wird der Laden allein mit ihnen nicht voll.

Pastor Jonas Goebel in der Auferstehungskirche am Kurt-Adam-Platz in Lohbrügge. Foto: privat

Wenige engagieren sich, die meisten konsumieren. Beim HSV engagieren sich die treuen Fans sehr stark – aber die allermeisten Fans engagieren sich gar nicht. Sie konsumieren nur. Das ist aber kein Mangel, kein Fehler, das ist am Ende sogar in Teilen notwendig:

Die Vielen sind finanziell wichtiger. Auch bei uns gilt, dass wir mit den wenigen treuen Fans uns nicht finanzieren können. Aber die Masse hilft auf andere Weise: mit Geld. Sie engagiert sich vielleicht nicht, sie singt nicht laut mit – aber sie kommt, macht das Stadion voll und zahlt dafür gerne.

Ultras dürfen nicht zu viel Macht erhalten. Ich könnte auch sagen: Wenn wir uns nur auf den „inneren Kern“ konzentrieren, auf unsere „Kirchen-Ultras“, dann ist das ein Weg aufs Abstellgleis. Ein Verein, der sich zu stark von seinen Ultras sagen lässt, was er zu tun hat, ist kein erfolgreicher Verein. Aber gleichzeitig dürfen diese treuen Fans auch nicht ignoriert, vergessen oder verdrängt werden. Wir brauchen sie mindestens für die Stimmung und für das Engagement.

Der HSV lebt im Luxus, dass das Stadion fast immer voll ist, obwohl die Mannschaft weder besonders attraktiv, noch besonders erfolgreich spielt. Wir Kirchen spielen meistens auch nicht besonders attraktiv, wir steigen von Jahr zu Jahr irgendwie weiter ab – und bei uns gibt es keine vollen Stadien, sondern immer leerere Kirchen. Was bleibt, sind oft unsere Ultras. Die, für die aber auch gilt, dass sie sich erstaunlich oft erstaunlich wenig für das „Spiel“ interessieren, und die in den meisten Fällen vor allem mit sich selbst beschäftigt sind und zu großen Teilen aus sozialen Gründen kommen.

Ich behaupte: Wir müssen als Kirchen vom HSV lernen, dass es nicht darum geht, nur unsere Ultras glücklich zu machen. Wir wollen ein volles Stadion! Und das bekommen wir nicht voll, wenn wir uns zu sehr von ihnen diktieren lassen, wo es lang geht und was wir anbieten.

Ein Gedanke zu „Was Kirchen vom HSV lernen können“

  1. Ich bin auch HSV-Fan. Sehr interessante Gedanken, denen ich zustimme.
    Eine Analogie zwischen Fußball und Kirche gibt es zum Glück noch nicht.
    Die Kirche verkauft keine teuren Logenplätze im Gottesdienst, die laut Uli Hoeneß erst den Fußballbetrieb ermöglichen..

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